Marion WARDEN, MdL -Plenarrede: Einbringung des interfraktionellen Antrages „Operation Last Chance“ –

Plenarrede zu TOP 8

Sehr geehrte Frau Präsidentin / Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Zuschauer auf der Besuchertribüne!

Wir kennen sie, diese erschütternden Bilder, immer und wieder und gerade in den letzten Wochen, brennen sie sich in unsere Wahrnehmung, diese Bilder von Krieg, Verwundung, Gefangenschaft, Folter, Verelendung und Tod! Es ist fast unerträglich darüber nachzudenken, dass Menschen gewaltsam herausgerissen wurden aus ihrem normalen Leben um sie grausam zu quälen und zu ermorden! Es ist nicht vorstellbar, dass es Menschen gab, die dies alles bewusst und voller Grausamkeit geplant und umgesetzt haben!
In diesem Jahr erinnern wir uns schmerzlich an das Ende des 2. Weltkrieges am 08. Mai und besonders an die Befreiungen von Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau…
Wir verschließen heute nicht unsere Augen, unsere Ohren und Sinne und sagen: Der Krieg ist 70 Jahre her! Sondern wir stellen uns als freiheitlich demokratische Gesellschaft der Auseinandersetzung. Wir Fragen nach den Tätern, sprechen über die vielen großen und kleinen Mitläufer, die Verfolger, die Profiteure dieser so schwer zu begreifenden Menschheitsverbrechen.
Und wir, die Fraktionen des Nordrhein-Westfälischen Landtags schließen uns zu diesem schweren Thema unserer gemeinsamen Vergangenheit, zusammen.
„Operation Last Chance“ – Die letzten lebenden NS-Täter müssen ihrer strafrechtlichen Verfolgung zugeführt werden, so lautet der Titel unseres heutigen Antrages, der von allen Fraktionen gemeinsam getragen wird.
Hintergrund des heutigen Antrages ist die durch das Simon-Wiesenthal-Institut im Jahre 2013 gestartete Kampagne mit dem Titel: Spät. Aber nicht zu spät! Operation Last Chance II". Ziel der Kampagne war und ist es, noch lebende Nazi-Kriegsverbrecher aufzuspüren und ihrer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen.
Mittlerweile liegt dem Bundesinnenministerium eine Liste mit achtzig möglicherweise noch lebenden Tätern vor, die für die Ermordung von Millionen Juden in der Sowjetunion, in Polen und Osteuropa verantwortlich gemacht werden.
Mit unserem gemeinsamen Antrag verdeutlichen wir als Mitglieder des nordrheinwestfälischen Landtags, dass die Verfolgung nationalsozialistischer Massenverbrechen unser gemeinsames, zentrales Anliegen ist.
Wir fordern darin die staatlichen und nichtstaatlichen Stellen auf, ihre Erkenntnisse über nationalsozialistische Verbrechen in unserem Bundesland den Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln. Diese müssen in die Lage versetzten werden, alle notwendigen Ermittlungen einzuleiten, um die letzten noch lebenden NS-Täter, auch in NRW, strafrechtlich zu verfolgen.
Dafür ist es „Spät, aber nicht zu spät“!
Denn:
Unsere heutige Freiheit ist nicht selbstverständlich! Auch heute treffen rassistisches Gedankengut und Fremdenhass unschuldige Menschen in unserem Land.
Erinnert sei an die NSU-Morde und das Versagen der Ermittlungsbehörden, an die unsäglichen von Fremdenhass und Intoleranz geprägten Aufzüge in vielen Städten.
Erinnert sei an die Angriffe auf Flüchtlingswohnheime und an die Drohungen gegenüber Politikern, die sich für die Aufnahme von Flüchtlingen in ihren Kommunen stark machen.

70 Jahre nach der Befreiung leben noch immer Täter des verbrecherischen Regimes unerkannt unter uns.
70 Jahre nach Kriegsende sind wir es den Millionen von Ermordeten schuldig, ihre noch lebenden Mörder zur Verantwortung zu ziehen
70 Jahre nach dem Ende der NS-Schreckensherrschaft wird deutlich, dass die Aufarbeitung unserer Geschichte noch nicht vollzogen ist.
Wir verabschieden den Antrag heute in dem Bewusstsein, es den Opfern und ihren Angehörigen bis heute schuldig zu sein, die noch lebenden Täter zur Rechenschaft ziehen. Wir verabschieden ihn aber auch mit dem Bewusstsein der Verantwortung für uns und alle nach uns folgenden Generationen, dass diese Taten gesühnt werden müssen.
Und es ist nicht nur für uns die letzte Chance, dem Gerechtigkeitsanspruch Genüge zu tun, sondern sicher auch die letzte Chance für die Täter, sich ihrer Schuld zu stellen und vor dem eigenen sicheren Tod, die Opfer um Vergebung zu bitten.
Es ist „Spät, aber nicht zu spät“!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!